Noga Erez arbeitet mit Ori Rousso zusammen: Er ist ihr Partner, mit dem sie zudem eine Arbeits- und Kreativbeziehung führt. „Wir produzieren nicht nur die Songs, wir schreiben sie auch zusammen, was noch tiefgründiger ist. Wir werden ständig besser darin, Arbeitskollegen zu sein. Am Anfang war es sehr durcheinander, da wir beide alles gemacht haben. Dann kam aber ein Punkt, an dem ich wirklich sagen konnte, dass Rousso mein Lieblingsproduzent auf der ganzen Welt ist – ernsthaft, ich liebe das, was er macht, so sehr, dass ich ein wenig die Kontrolle abgegeben habe. Ich musste ihm Raum geben, um sein Ding zu machen, und wenn ich loslasse, passiert so viel Magie bei ihm. In einer Beziehung geht es viel darum, die andere Person die beste Version von sich selbst sein zu lassen, und manchmal bedeutet das, ihr die Möglichkeit zu geben, Dinge alleine zu meistern. Er ist so dominant in der Produktion, dass ich nun mehr die Künstlerin sein kann und ihn manchmal einfach den Weg führen lasse. Die andere Sache ist, dass für uns beide das Leben nicht dort ist, wo die Arbeit endet und die Beziehung beginnt. Wir haben beide die Philosophie, dass alles alles ist: Was man erschafft und die Menschen, mit denen man zusammen ist und was man isst, wo man wohnt, alles ist ein Teil derselben Sache. Viele Menschen, die ein Paar sind und auch zusammen arbeiten, schaffen Grenzen, aber für uns hat alles Einfluss auf alles. Und man muss immer extrem rücksichtsvoll, liebevoll und so weiter sein, egal in welchem Teil der Beziehung. Bei uns hat es wirklich super funktioniert, vor allem, weil Ori Rousso der tollste Mensch der Welt ist. Ich habe ihm viel zu verdanken.“
Im Leben geht es darum, die Kontrolle loszulassen, denn schließlich kann man kleine Dinge kontrollieren, aber in Wirklichkeit kann man nichts kontrollieren. Wir denken, wir wissen Dinge. Wir planen, aber die Dinge können sich einfach ändern … Ich denke, das Einzige, bei dem wir den Anspruch haben können, es zu kontrollieren, ist unser Gefühl gegenüber Dingen.“
Noga Erez ist eine israelische Rapperin, Sängerin und Musikproduzentin, die am 26. Dezember 1989 in Tel Aviv geboren wurde und in Caesarea aufwuchs, um als Erwachsene wieder in die Hauptstadt zu ziehen. 2017 erschien ihr Debütalbum „Off The Radar“. Bereits als Kind begann Noga Erez ihre musikalische Karriere und war als Teenager Mitglied von Rockbands und in Projekten verschiedener Musikstile. Im Anschluss an die Schule begann die angehende Künstlerin ein Studium an der Jerusalem Academy Of Music And Dance. Ihre erste Veröffentlichung wäre ein Jazz-Album gewesen, doch Noga Erez beschloss 2011, das Album unveröffentlicht zu lassen. Nach ihrem Militärdienst als Armee-Musikerin wandte sie sich elektronischen Produktionsmitteln zu und begann, über elektronische Beats zu rappen. Nach Auskunft der Künstlerin hat die Zeit in der Armee Noga Erez‘ kritisches Denken geschult, was sich auch in offensiv-politischen Texten niederschlägt. Ihr erstes Album „Off The Radar“ fand international hohen Anklang und brachte ihr einen lukrativen Werbedeal mit einem Computerhersteller ein, der den Song „Dance While You Shoot“ verwendete. 2018 schicken Palästinenser aus dem Gazastreifen Papierdrachen mit Brandsätzen nach Israel. Die Anschläge veranlassen sie zum Track „Fire Kites“ – darin erzählt sie, wie der Krieg genauso zum Erwachsenwerden junger Frauen gehöre wie der erste Sex. „Wir brauchen keine Bomben“, singt sie aus der Perspektive des vermeintlichen Feindes. „Wir haben Feuerdrachen.“ Auf die Frage, ob ihre Musik den Frieden bringen könne, antwortet Noga Erez, das glaube sie allerdings nicht.
Musik ist etwas Wunderbares. Sie ist wie eine Religion für mich. Ich glaube an den Gott der Musik. Aber sie hat nicht die Kraft, die Realität zu verändern. Auch wenn sich mancher jetzt wahrscheinlich furchtbar aufregen wird. Was Musik aber kann, ist von Erfahrungen und Gefühlen erzählen und den Menschen zeigen, dass sie nicht allein sind mit dem, was sie durchstehen müssen. Vielleicht irre ich mich. Ich glaub‘, nicht.“
2019 veröffentlichte sie den Track „Chin Chin“, ein Duett mit einer der relevantesten israelischen HipHop-Artists Echo. Mit „End Of The Road“ lieferte die Künstlerin einen Vorgeschmack auf ihr zweites Album „Kids“, das am 26. März 2021 auf dem Label City Slang erschien. Die Platte thematisiert den Palästina-Konflikt, eine Welt ohne Nachrichten, das Underdog-Sein und die Dynamik von Freiheit und Rebellion.
Immer, wenn jemand meine Musik als politisch bezeichnet, ist mein erster Impuls zu sagen: Das stimmt nicht, sie erzählt vom Leben. Nur ist dieses Leben eben geprägt von besonderen politischen und gesellschaftlichen Umständen, von den Dingen, die wir, unsere Eltern und Großeltern, erlebt haben. All das macht uns zu dem, das wir sind. Es ist Teil unserer DNA.“
Noga Erez ist überzeugt: Am Anfang sei der Mensch, „dieses runde Ding, das völlig rein und fast formlos ist“. Das Ich forme sich nach und nach. Der Schlüssel liegt für die Künstlerin im bewussten Kontrollverlust. Flexibilität bestehe nicht nur aus Loslassen, sondern auch aus der Wahrnehmung der eigenen Einflusssphären. So klingt auch „Kids“, das zum Teil in Berlin entstanden ist. „I’ve been deep, deep, deep, deep-ly depressed / Get help, they might suggest / Trash talk, I take offence“, lauten die ersten Worte, die Noga Erez auf ihrem neuen Album mehr rappt als singt. Mit „Cipi“ thematsiert sie das in Israel geläufige Antidepressivum Cipralex. „Cipi, I’m a pessimist / but you think you can mess with me / You think you are the boss of me / But most the time you’re my bitch“, heißt es im Refrain. Dazu erklingen wider Erwarten euphorisierende Beats und eine hochmelodische Hookline. Es ist Musik, die einen – in normalen Zeiten – augenblicklich auf die Tanzfläche zieht. „Kids“ liefert eine so kluge wie knappe Bestandsaufnahme der Gegenwart. Die Songtexte handeln zudem von Generationenkonflikten – wie ein roter Faden zieht sich das Sample eines Ausspruchs ihrer Mutter durch das Album: „Kids these days.“ In welche mediale Realität die Generation Z hineinwächst, erklärt „Views“ sehr anschaulich. Darin erzählt Noga Erez von Onlinediensten, mit denen man sich Follower, Shares oder eben „Views“ kaufen kann „People buy views / I know it’s old news / But I got bad news for everybody“, heißt es darin. „Dass wir von Zahlen, Scores und Likes besessen sind, war mir bewusst, das habe ich schließlich schon auf ‚Off The Radar‚ thematisiert. Dass Menschen aber bereit sind, dafür zu bezahlen, um sich erfolgreicher darzustellen als sie wirklich sind, musste ich erst begreifen“, sagt Noga Erez. „Den gekauften Views liegt ja ein zutiefst menschliches Bedürfnis nach Anerkennung zugrunde. Deshalb fand ich das Thema spannend. Andererseits geht es mir auch darum zu zeigen, dass heute alles, wirklich alles monetarisiert wird.“
Dem Sog, den dieses Album vom ersten Moment an erzeugt, kann man sich erst nach 37 Minuten wieder entziehen. Dann ist es leider zu Ende.