Beschäftigt man sich mit der portugiesischen Künstlerin Pongo, so verlässt man zwangsläufig die Gefilde der aus den deutschen Charts gewohnten Genrebezeichnungen. Das ist auch gut so: Die Musikerin mit angolanischen Wurzeln nimmt so ziemlich jedes Genre, packt es in einen großen Shaker, schüttelt alles ordentlich durch und erschafft ihren ganz eigenen Signature-Sound.
Engracia Domingos da Silva kommt 1992 in Luanda zur Welt. Sie ist neun Jahre alt, als ihre Familie vor dem Bürgerkrieg flüchten muss. Auch in ihrer neuen Heimat Lissabon ist es zunächst nicht leicht für Pongo: Auf engstem Raum lebt sie mit ihrer Familie, teilt sich das Bett mit ihren zwei Schwestern. Die weiße Nachbarschaft, in der sie groß wird, macht es ihr nahezu unmöglich, Fuß zu fassen. In der Schule wird sie rassistisch gemobbt und für ihre abgetragenen Klamotten ausgelacht. Musik dient ihr als Allheilmittel. Pongos Vater ist bereits Kuduro-Tänzer, die Musik liegt ihr entsprechend in der Wiege. Kuduro, ein in Angola sehr beliebter elektronischer Musik- und Tanzstil, wird auch in den Schwarzen Communitys von Lissabon getanzt. Auch Pongo versucht sich zunächst als Kuduro-Tänzerin. Von ihrem strengen Vater erfahren ihre musikalischen Ambitionen wenig Gegenliebe, und auch sonst genießen ihre Schwestern und sie kaum Freiheiten. „I was just really angry“, sagt Pongo in einem Interview mit dem DAZED-Magazin über den Rassismus, den sie in ihrer Kindheit erlebte. „I was young but automatically when you get this kind of reception, you feel it in your soul.” Die Mischung aus Ausgrenzung, familiären Problemen und mangelnder Freiheit münden in einen Selbstmordversuch: Pongo ist gerade zwölf Jahre alt, als sie sich aus dem siebten Stock ihres Wohnhauses stürzt. Es gleicht einem Wunder, dass sie bis auf ein paar Knochenbrüche unbeschadet überlebt.
Ironischerweise eröffnet gerade diese Verletzung Pongo eine neue Welt: Ihre Physiotherapie findet in einem Schwarz geprägten Viertel Lissabons statt. Dort sieht sie die Denon Squad auf der Straße tanzen – eine Kuduro-Tanzformation, die Pongo quasi adoptiert und ihr erstmalig das Gefühl gibt, zu Hause zu sein. Ihre gemeinsamen Proben hält Pongo vor ihrer Familie zunächst geheim. Als sie auffliegt, reagiert ihr Vater not amused und erzählt der Verwandtschaft in der Ferne, seine Tochter sei verloren und hänge nun „mit Gangstern rum“. Weitaus größere Unterstützung leisten dagegen die Jungs von der Denon Squad: Sie schicken ein Demo von Pongo Love – so nennt sich Pongo jener Tage noch – an Buraka Som Sistema. Die Band gilt als die internationale Speerspitze der Kuduro-Bewegung und zeigt sich sofort angetan von Pongos Stimme. Im Studio mit ihnen singt Pongo eine sehr persönliche Collage ihrer Kindheitserinnerungen ein – die Grundlage für einen Welthit mit dem Namen „Kalemba (Wegue Wegue)“.
Der Song öffnet der damals erst 15-jährigen Pongo Love und der Band Tore: Sie spielen riesige Shows in ganz Portugal. Auch international ist die Band gefragt, doch ihr Status als Geflüchtete macht sämtlichen Tour-Ambitionen einen Strich durch die Rechnung. Pongo darf Portugal nicht verlassen. Dazu kommen Streitigkeiten über die Tantiemen und Rechte an dem Song. Laut eigener Aussage sah Pongo bis heute keinen Cent von dem Erfolg, den „Kalemba (Wegue Wegue)“ gefeiert hat. Als dann ihr inzwischen alkoholabhängiger und stark gewaltsamer Vater, der ihr ironischerweise sowohl ihren Künstlerinnennamen gegeben als auch zeitweise als ihr Manager fungiert hatte, zu einer immer größeren Bedrohung für sie und ihre Familie wird, zieht Pongo Konsequenzen. Sie zieht sich aus der Musikindustrie zurück und hält sich und ihre Familie mit einfachen Jobs über Wasser.
Angeblich erinnert jedoch genau der strittige Song Pongo an ihre Leidenschaft für Musik. Zehn Jahre nach dem Erfolg von „Kalemba (Wegue Wegue)“ hört sie den Track im Radio und beschließt, ihrer Karriere als Künstlerin eine zweite Chance zu geben. Als erstes Lebenszeichen veröffentlicht sie im April 2018 die politische Hymne „Tambulaya“, ihre Debüt-EP „Baia“ folgt. Im Musikvideo zum Titeltrack lässt sie sich in Missy-Elliott-esker Manier im Weltall ablichten. Tatsächlich wirkt ihr energischer und lebhafter Mix aus Kuduro, Rap, Pop und elektronischen Sounds wie aus der Welt gefallen und bleibt doch über jegliche Sprachbarrieren und Genregrenzen erhaben.
Zwei EPs und eine COLORS-Show später ist Pongo in der internationalen Musikindustrie angekommen. Bedenkt man, dass sie bereits als Teenagerin erste Schritte wagte, hat es lang gedauert: Der New York Times sagt sie:
There is a saying, that when something is taking a long time, you say: ‘It’s like the Church of St. Engrácia.’ That’s like my career.”
Wie passend, dass Engracia zugleich ihr Vorname ist. Heute wird Pongo nachgesagt, sie bedeute für Kuduro, was Rosalía für Flamenco darstellt. Für uns ist Pongo aber vor allem eins: eine unfassbar krasse Musikerin und dope Female MC, die ihr dringend im Auge behalten solltet.