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Psychoqueen

Psychoqueen

Wer von Psychoqueen erzählen möchte, schickt seinem Text besser eine Triggerwarnung voran: Wie die Geschichten viel zu vieler Frauen in Marokko, prägen Übergriffe und die Erfahrung von sexueller Gewalt auch die ihre. Wenn ihr euch dies – aus Gründen – ersparen wollt, überspringt den Text und haltet euch an die Videos.

Kaoutar Bougrine hatte diese Wahl leider nicht: Die Suche nach ihrem Künstlerinnennamen führt einem als allererstes ein Video vor Augen, das sie selbst in ihrer Instagram-Story verbreitete: „Schaut! Schaut, was er mit mir gemacht hat“, weint Psychoqueen in die Kamera, und filmt ihr zerschlagenes Gesicht, ihre Hände, über die das Blut läuft, ihre ebenfalls blutbesudelte Kleidung. „Wir sind hier in unserem eigenen Land, wir sollten hier sicher sein. Aber schaut euch das an! Er hat mir ins Gesicht geschlagen, ich bin voller Blut! Wer beschützt mich jetzt, wer? Ich habe keine Eltern und auch sonst niemanden! An alle, die diese Story sehen und die gerade in der Nähe von Skhirat sind: Bitte kommt und helft mir!“

Es verwundert nicht, dass Psychoqueen in diesem Moment derart aufgewühlt ist, dass nicht ganz deutlich wird, was sich am 16. Januar 2020 in dem marokkanischen Badeort eigentlich genau zugetragen hat: Zusammen mit einem Kollegen war die junge Künstlerin an diesem Abend auf dem Weg ins Studio. Auf offener Straße sprach sie ein Radfahrer an und belästigte sie. Ihrer angeblich einigermaßen höflichen, aber bestimmten Bitte, er möge sich verpissen, kam der Mann zwar zunächst nach, kehrte aber alsbald in Gesellschaft von vier weiteren Arschlöchern zurück. Das Resultat zeigte Psychoqueens Story. Im Krankenhaus in Témara, wo sie nach dem Angriff behandelt wurde, diagnostizierten die Ärzt:innen unter anderem eine gebrochene Nase und mannigfache Prellungen. Zur weiteren Behandlung, die Nase musste operiert werden, überstellten sie die Verletzte ins Hôpital Cheikh Zayd in Rabat.

Psychoqueen startete danach eine Kampagne in den sozialen Netzwerken: Unter dem Hashtag #nonalaviolencecontrelesfemmes spricht sie sich klar gegen Gewalt gegen Frauen aus und ruft zur Solidarität mit Betroffenen auf. „Ich werde nicht schweigen“, beteuert sie da noch, „auch wenn die Erinnerung an den Angriff immer wieder hochkommt.“ Kein Wunder, erlebte Psychoqueen derlei nicht zum ersten Mal: Bereits 2018 wurde sie Opfer eines Übergriffs, damals sogar vor laufender Kamera. Während sie mit ihrer Follower:innenschaft live war, plötzlich hört man Geschrei und Handgemenge. Sie werde entführt, hörte man Psychoqueen noch rufen, danach blieb sie tagelang verschwunden.

Die Hintergründe dieser Tat lassen sich schwer rekonstruieren. Selbst Psychoqueens Bruder zeigte sich unsicher. Nach dem Verbleib seiner Schwester gefragt, nannte er sie „ein nervöses Mädchen, sie nimmt auch Medikamente dagegen“. Er bestätigte aber gegenüber der Polizei das Verschwinden der Rapperin: „Wir hoffen, es geht ihr gut. Wir wissen aber auch nicht, wo sie steckt. Angeblich ist sie bei einer Freundin untergetaucht, doch weder meine Schwester noch ihre Bekannte gehen ans Telefon.“ Manch eine:r unterstellt Psychoqueen, ihre Entführung zu Promozwecken inszeniert zu haben. Sollte dies stimmen, hatte die Rapperin zum einen Erfolg damit: Nach dem Vorfall stieg ihre Bekanntheit sprunghaft an. Ihr wenige Tage vor dem Überfall veröffentlichter Song „Chui Pas La“ verzeichnete kurz darauf schon sechsstellige Zugriffszahlen:

Zum anderen ändert es natürlich überhaupt nichts an der endtraurigen Tatsache, dass Frauen auf den Straßen Marokkos offenbar als Freiwild gelten: Bei einer 2020 durchgeführten Studie gaben 57 Prozent der Befragten zwischen 15 und 74 Jahren an, in den zurückliegenden zwölf Monaten sexuelle Gewalt erlebt zu haben – deutlich mehr als die Hälfte, eine erschreckende Zahl.

Klar, dass Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, besonders oft zur Zielscheibe werden. Kaoutar Bougrine alias Psychoqueen gehört dazu. Obendrein hat sie sich ihren Namen auch noch mit Rap-Musik gemacht, etwas, von dem in Marokko immer noch viele glauben, es schicke sich nicht, für ein Mädchen schon gar nicht, sei „haram“, Sünde. Psychoqueen juckt das nicht: „Ich habe Rap schon immer geliebt“, erzählt sie im Podcast Reportage Afrique. „Als ich angefangen habe, gab es aber noch nicht viele junge Mädchen und Frauen im marokkanischen HipHop.“ Wenn die Role-Models fehlen, bleibt nur: einfach machen. Kaoutar, die eigentlich Wirtschaftswissenschaften studiert, stellt ihre ersten Tracks bei YouTube ein, „und los ging es.“

Wie breit Psychoqueen musikalisch aufgestellt ist, zeigt schon dieser Clip von 2017: Mühelos covert sie da in einem Zug nicht nur Rihanna, Ed Sheeran und die französische Rapperin und Sängerin Marwa Loud, sondern auch ihre marokkanischen Kollegen 7liwa und 7ari:

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Rap und Gesang, Trap, R&B, orientalische Melodien und afrikanisches Erbe: In Psychoqueens Tracks findet all das scheinbar mühelos zueinander. „Natürlich war es anfangs schwierig, speziell als Mädchen“, erinnert sie sich. „Eine Menge Leute wollen dich ausnutzen, Profit aus dir schlagen.“ Bald gilt Psychoqueen aber als das Wunderkind des marokkanischen Raps, Millionen greifen auf ihre Instagram-Posts zu. Die Rapperin wendet sich in ihren Texten gegen Sexismus und patriarchale Strukturen, fordert ein Ende der Rape Culture, verarbeitet aber auch persönliche Enttäuschungen. Als eine seiner unüberhörbaren Stimmen trägt sie dazu bei, marokkanischen Rap in eine Waffe gerade der Frauen zu verwandeln. Zunehmend mehr Rapperinnen thematisieren sexuelle Übergriffe und Gewalt, wollen sich die Ungleichbehandlung nicht länger gefallen lassen, fordern Gleichberechtigung und Schutz, nicht nur auf dem Papier. Vor allem aber geben sie jungen Marokkanerinnen eine Stimme und eine Perspektive:

Es gibt immer etwas zu verbessern, Gefühle auszudrücken, Hoffnung zu machen.“

2019 wird Psychoqueen bei den AFRIMA, den afrikanischen Music Awards, in der Kategorie „Best female Artist Northern Africa“ nominiert. Anfang 2020 stehen eigentlich alle Zeichen auf Durchstarten. Dann, im Januar, der eingangs erwähnte Überfall. Psychoqueen beteuert zwar, sie werde sich keinesfalls unterkriegen oder mundtot machen lassen. In einer Erklärung gegenüber der Nachrichtenseite Hespress verkündete sie: „Die Gewalt gegen Frauen, ob sie Mütter, Schwestern, Ehefrauen oder Freundinnen sind, kann nur ein Mentalitäts- und Bewusstseinswandel beseitigen.“

Aber offenbar wirkten die Erlebnisse doch nach. Von Psychoqueen hört man seit 2020 nichts mehr. Dabei wäre ihre Stimme in einem Land, das zwar immer strengere Gesetze gegen Gewalt gegen Frauen erlässt, aber wenig auf ihre Einhaltung pocht und stattdessen im staatlichen Fernsehen Tutorials ausstrahlt, wie frau* in der Öffentlichkeit am besten ihre Blessuren kaschiert, bitter, bitter nötig.

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