Lebensgeschichten wie die von Säye Skye machen einen nicht nur sprachlos, sondern bewegen zugleich dazu, die eigene privilegierte Position in dieser Gesellschaft einmal mehr zu reflektieren: Seit mehr als zehn Jahren nutzt der iranisch-kanadische Künstler seine Musik im aktivistischen Kampf, um sich für die Rechte und die Freiheit der LGBTQI*-Community und gleichzeitig gegen totalitäre Systeme wie die Islamische Republik in seiner Heimat einzusetzen.
Aufgewachsen in Teheran im Iran, bekommt Skye am eigenen Leib zu spüren, wie restriktiv und gewaltsam das Regime gegen Menschen wie ihn vorgeht. Im Interview mit Urbania erzählt er, wie erschreckend und seltsam es sich anfühlte, queer aufzuwachsen und zu merken, dass die eigene trans Identität ein Tabuthema darstelle: „Wir lebten im Verborgenen, wir lernten uns über jemanden kennen, der jemanden kannte. Man musste sich gegenseitig vertrauen, es war eine Frage des Überlebens. Man musste jedem gegenüber misstrauisch sein, der Familie, den Nachbarn, jeder konnte die Polizei anrufen und sagen: ‚Hey, da sind zwei Leute, die seltsame Dinge tun.’“
Von seinem Großvater inspiriert, der ihn schon als kleines Kind mit den Gedichten von Rumi in Kontakt brachte, weiß Säye Skye um die machtvolle und zum Teil auch heilende Wirkung von Worten. Schon früh schreibt er erste Gedichte und Songs auf Farsi, um Menschen zu erreichen und der eigenen Wahrnehmung und Wahrheit zum Ausdruck zu verhelfen.
Über eine iranische Freundin in Kanada lässt der damals 19-Jährige seine erste Single „Säye Yek Zane Irani“ (Schatten einer iranischen Frau) online veröffentlichen. Der Track geht viral und verschafft Skye Interviewanfragen aus Deutschland, den Niederlanden sowie Kanada. Leider bleibt das aktivistische musikalische Treiben des Künstlers dem iranischen Staat nicht verborgen. Innerhalb von sechs Monaten wendet sich das Leben des jungen Menschen um 180 Grad.
I had never thought about leaving Iran until then, but Fars News [state media] published an article about me saying my head is halal. They said I’m spreading sin, anti-Islamic propaganda, corrupting minds, so I ought to be erased from Earth. So, I had to leave. I didn’t even know where to go or how to leave the country. I never thought the government would have enough time to care about me, in my head it was just one queer song. But it was proof, straight out of Iran, that we queer Iranians do exist. So, they bugged me, they blacklisted me and they tried to hunt me down.“
Säye Skye im Interview mit mixmag
Der Kampf für die eigene Überzeugung und gegen die tief verwurzelten Stereotypen von Misogynie, Xenophobie und Queerphobie zwingen Säye Skye 2010 dazu, seine Heimat zu verlassen. Er beantragt Asyl in der Türkei, bekommt den Flüchtlingsstatus und zieht im März 2011 nach Toronto.
Doch für den Musiker und Produzenten hört die aktivistische Arbeit an diesem Punkt in seinem Leben nicht auf. Auch wenn er als nicht-binäre, trans männliche Person ebenso in Kanada mit Trans- und Queerphobie konfrontiert ist, führt Skye unbeirrt den Kampf für die Rechte der LGBTQI*-Community weltweit fort, vor allem mit und durch seine Musik. In Toronto baut er sich eine stetig wachsende Fangemeinde auf.
They [the Iranian regime] go after all of us because they know the power of art. They know it can change minds and culture. It’s funny because it seems like lots of people don’t take art very seriously, but the regime does. This is the back end of the war.“
Säye Skye im Interview mit mixmag
Mittlerweile lebt und arbeitet Säye Skye in Berlin. Neben seinen Tätigkeiten als Komponist im Bereich Filmmusik, unter anderem 2020 für den preisgekrönten deutschen Film „No Hard Feelings“ sowie 2021 für die mehrfach preisgekrönte TV-Show „Sort Of“, veröffentlicht er 2021 seine EP „O’Dali“. Zwischen sphärischen Elektro-Sounds, Dance-Nummern und eingängigen Rap-Parts, kommt Skye auf den fünf Tracks der Platte auf Themen wie Liebe, Verlust, Sinnlichkeit und Unrast zu sprechen. Darüber hinaus tritt der Rapper regelmäßig mit seinen queeren, unangepassten Hymnen auf Demonstrationen und Szene-Events auf und unterstützt mit Leib und Seele sowie mit seiner Musik die Jin Jiyan Azadi-Bewegung an vorderster Front. Wir können Menschen wie Säye Skye nur voller Ehrfurcht unseren Dank aussprechen: Danke für sein widerständiges Herz und die inspirierende Musik, die auf seinem Weg entsteht.