Eine der talentiertesten englischsprachigen MCs aus Deutschland kommt aus Pforzheim: Sharon ist gerade einmal fünf Jahre alt, als sie im Familienurlaub in Tel Aviv unbedingt an einem Gesangswettbewerb teilnehmen will. Sie singt ein altes hebräisches Lied – und gewinnt prompt den ersten Preis. Als sie von der Bühne kommt, eröffnet sie ihrer Mutter, dass sie genau das machen will, wenn sie groß ist: Musik.
Parallel dazu wird die kleine Sharry von ihren beiden älteren Geschwistern bereits fleißig mit US-amerikanischem Rap beschallt. De La Soul, Lauryn Hill, Busta Rhymes und Outkast dröhnen aus den Speakern des heimischen Kinderzimmers. Sharon ist sofort Feuer und Flamme, ohne auch nur ein Wort zu verstehen. Da überrascht es kaum, dass sie schon früh anfängt, Gedichte zu schreiben und diese bald in Lyrics umwandelt. Schnell ist klar, dass Englisch ihre Sprache ist: „Ich habe einfach nie meine Gedanken und Emotionen in deutscher Sprache auf’s Papier gebracht. Auf Englisch fühle ich all das mehr, es fühlt sich natürlicher an“, sagt sie uns im Interview. Das Talent, das Sharon bereits mit etwa 13 Jahren an den Tag legt, bleibt auch ihrer Familie nicht verborgen. So ermutigt sie vor allem ihr großer Bruder, mit dem Rappen weiterzumachen.
Sharon hat ein Faible für deepe Texte und jazzige Beats, sucht aber auch die Competition – und vor allem die Bühne: Mit mehreren anderen Jugendlichen nimmt sie am Jewrovision Songcontest teil – DEM Musikhappening der jüdischen Jugendzentren in Deutschland. Zweimal gewinnt sie mit ihrer Crew den ersten Platz. Dort lernt sie, wie viel an einer überzeugenden Liveshow hängt – vom Songwriting über Choreos bis hin zu Lichteinstellungen, vor allem aber: Teamwork. Ein Team findet sie zudem in der Mannheimer HipHop-Academy Who Am I, wo sie ihre ersten beiden EPs „Changes“ (2016) und „Level Up“ (2017) recordet, aber auch selbst als Rap-Coach in Erscheinung tritt. Für November 2020 steht nun ihr Debütalbum „Floetic“ in den Startlöchern – ein Wortspiel aus den Begriffen „Flow“ und „Poetic“, die Sharons Anspruch an guten Rap perfekt umschreiben. Die jazzigen Instrumentals, die an Ms. Lauryn Hill und Floetry erinnern, hat Sharon wie auch schon bei ihren Vorgänger-Releases zusammen mit Dario ‚EB‘ Allegra produziert. Neben gewohnt starken Themen wie Selbstverwirklichung, Female Empowerment, Dankbarkeit und der Liebe zur Musik präsentiert Sharon auf ihrem ersten Longplayer vor allem nochmal einen heftigen Quantensprung in Sachen Rapskills – als hätte sie nicht schon vor zwei Jahren auf diversen Rap am Mittwoch und Top Tier Takeover Cyphers in ganz Deutschland der HipHop-Welt gezeigt, wie sie spitten kann.
„Das erste Mal bei Rap am Mittwoch in der Cypher zu stehen – das hat sich ein bisschen angefühlt, wie in ein Haifischbecken geworfen zu werden. Da wurde ich zum ersten Mal mit sexistischen Kommentaren konfrontiert, aber auch mit viel positivem Feedback. Das hat mir schon gezeigt, dass ich als Frau anders behandelt werde als die männlichen MCs.“ Insgesamt vier Mal stand Sharon in der „realsten Cypher Deutschlands“. Ihren YouTube-Hatern konterte sie auf der Bühne: „To the comments saying I should go back to the kitchen: I don’t mind, I can rap in any room you wishing.” Am liebsten rappt die israelische Rapperin aber immer noch live on stage und träumt nach ihrem Album von einer eigenen Tour und einem Live-Set ihrer Songs mit einer Band.
Dabei geht es Sharon aber vor allem darum, was sie bei ihren Hörer:innen bewirken kann: „Das Beste ist, wenn die Leute mir schreiben, dass sie das fühlen, was ich sage.“ Ihre Fans sollen durch ihre Songs das Selbstvertrauen bekommen, sie selbst zu sein, sich von fremden Erwartungen und Vorurteilen befreien und den Mut finden, ihr eigenes Ding zu machen. Der Künstlerin ist es besonders wichtig, auch andere Frauen und Mädchen zu motivieren, das Mic zu ergreifen: „In vielen Songs auf meinem neuen Album spreche ich darüber, dass Frauen sich gegenseitig mehr supporten sollten. Wenn man aufwächst, wird einem oft das Gegenteil gesagt – wir werden häufig gegeneinander aufgespielt, gerade im Rap. Und das ist eine riesengroße Scheiße. Ich möchte highlighten, dass es nicht nur eine Queen geben kann.“ Also, liebe 365 Female MCs-Leser:innen – bitte verneigt euch vor dieser ganz besonderen Rap-Königin.
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