Bis zu welchem Zeitpunkt ist eine Künstlerin eine Newcomerin? Bei der 20-jährigen Shintsu stellt sich diese Frage nicht: Die deutsche Rapperin hat erst drei Songs veröffentlicht. Warum sie trotzdem bei 365 Female* MCs auftaucht? Weil jeder einzelne Song ein Hit ist.
Der Name Shintsu sei ursprünglich ein Fantasiename gewesen, den die Rapperin einer zentralen Romanfigur gegeben habe. „Als ich eine Zeit in Japan gelebt habe, fand ich aber heraus, dass Shintsu eine Bedeutung hat und so etwas wie ‚sterben‘ heißt“, sagt Shintsu im Interview mit 365 Female* MCs. Außerdem heißt „Shi“ auf Japanisch „vier“ – die Lieblingszahl der 20-Jährigen
In Japan kommt die 20-Jährige auch auf die Idee, zu rappen. Dort habe sie einige Jugendliche zufällig dabei beobachtet, wie sie nachts in einer Gasse ein Battle veranstalteten. Einige Zeit später habe sie dann in einer Karaokebar ihren damaligen Lieblingssong vorgerappt. Weil das bei den Zuhörer*innen scheinbar gut ankam, fasste Shintsu den Beschluss, mit eigenen Songs in der Rapszene durchzustarten.
Dieser Beschluss mündete in ihrem ersten Song „We Ain‘t Shit“. Unterlegt mit einem düsteren Klavierbeat, malt Shintsu darauf ein düsteres Bild vom aktuellen Zustand der Welt. Ob Gewalt gegen Frauen oder die Ignoranz weiter Teile der Gesellschaft – all das kommt im Debüt zur Sprache. Schnell merkt der*die Zuhörer*in, dass die junge Rapperin ziemlich abgefuckt von der Welt und den Menschen ist. Gleichzeitig appelliert Shintsu an ihre Zuhörer*innen, sich von der Masse abzuheben und einen eigenen Weg zu gehen, um nicht wie die anderen Menschen zu werden. „There‘s two kinds of people / so be the third one“, rappt sie auf Englisch. Die Sprache habe sie gewählt, um mehr Menschen zu erreichen. „Außerdem gefällt es mir viel mehr, auf Englisch zu rappen, da sich Flow und Aussprache besser anhören“, sagt Shintsu. Auf „We Ain‘t Shit“ droppt sie außerdem japanische und französische Teilsätze – ein Skill, den die 20-Jährige auch zukünftig einsetzen will.
Nach ihrem ersten Song, der im Frühjahr 2019 erschien, folgten zwei weitere im gleichen Jahr. Auf „I Hate Me, It‘s Awesome“ setzt sich Shintsu mit ihrer eigenen Psyche auseinander. Sie steigert sich dabei in stabile Doubletime-Passagen hinein, mit deren Geschwindigkeit nicht allzu viele Rapper*innen hierzulande mithalten können.
Der dritte bisher erschienene Track Shintsus heißt „Raised Before Born“. Darauf prangert die Newcomerin vorbestimmte Wege an – wer im Ghetto aufwächst, bekomme kaum eine Chance zum gesellschaftlichen Aufstieg und füge sich einfacher in die ihm*ihr zugedachte Rolle.
Shintsus Songs sind sicherlich nicht der beste Soundtrack für eine fröhliche WG-Party im Altbau. Dafür passen ihre Lieder aber perfekt zum nächtlichen Heimweg, bei dem der Wind kalten Regen ins Gesicht weht und die Straßenlaternen ein fahles Licht auf die umliegenden Häuser werfen. Wer in dieser Stimmung ist, sollte sich Shintsu dringend anhören. Selbiges gilt allerdings auch für jene, die einfach Lust auf äußerst stabilen Rap und moderne, düstere Beats haben. Shintsus Debütalbum soll laut der Rapperin „very soon“ erscheinen. Wenn es so klingt wie die ersten drei Songs, könnte sie sich damit einen festen Platz in der Rapszene sichern. Das Potential dazu hat ihr Sound in jedem Fall.