Als Shirin David 2014 ihren YouTube-Kanal eröffnete und schnell zu einer der erfolgreichsten Webvideoproduzent:innen wurde, hätten die wenigsten ahnen können, dass dies nicht ihr einziger Erfolg bleiben sollte. Ihre Karriere als YouTuberin legte sie auf Eis – und wurde stattdessen einfach mal die erste deutsche Solo-Rapperin, die es drei Mal auf Platz 1 der Deutschen Charts schafft: eine Geschichte, die es längst verdient, auch bei 365 Female MCs erzählt zu werden.
Shirin David wurde als Barbara Sheynika Davidavičius im Jahr 1995 in Hamburg als Kind eines Iraners und einer Litauerin geboren. Die ersten drei Jahre ihres Lebens verbrachte sie in Litauen, bis sie – ohne den Vater – zurück nach Hamburg ging. Ihre Mutter war stets bemüht, ihren beiden Töchtern trotz finanzieller Probleme eine Kindheit voller kultureller Erlebnisse zu bieten. So lernte die vierjährige Barbara nicht nur das Balletttanzen und verschiedene Instrumente, sondern später auch das Singen. Auch als sie in ihrer Schulzeit das erste mal mit Deutschrap in Berührung gekommen war, gab sie ihre Liebe für klassische Musik und die Oper nicht auf, wirkte sogar lange Zeit bei verschiedenen Produktionen in der Staatsoper Hamburg mit. Soweit eine normale, von Musik stark beeinflusste Kindheit und Jugend – bis sie nach Köln zog und dort ihren YouTube-Kanal Shirin David eröffnete.
Es dauerte nicht lang, bis sie schnell zu den meistabonnierten Channels Deutschlands gehörte. Eine erste Annährung an die Musik zwischen all den Beauty-, Lifestyle- und Comedy-Videos gab es bereits 2015: Gemeinsam mit Ado Koyo veröffentlichte sie ein Cover des Songs „Du liebst mich nicht“ von Sabrina Setlur, auch bekannt als Schwester S. Mit ihrem Cover landeten die beiden zwar in den Charts, das ganze wirkte aber eher wie eine typische „YouTuber-Aktion“. In den 2010er-Jahren begannen unzählige Videoproduzent:innen, Musikvideos zu veröffentlichten – die einen ernstgemeinter als die anderen. Eine richtig ambitionierte Rap-Karriere erwartete man zu dieser Zeit von den wenigsten Influencer:innen – doch 2019 sollte Shirin David das ändern.
Im Januar 2019 veröffentlichte Shirin die Single „Orbit“ und kündigte damit ihr Debütalbum mit dem Titel „Supersize“ an. Während die erste Auskopplung noch verhalten beim Publikum aufgenommen wurde, veränderte die zweite Single „Gib Ihm“ alles: Sofort chartete Shirin David auf Platz Eins der deutschen Singlecharts und ebnete weiteren Singles den Weg. Auch das Debütalbum schaffte es an die Chartspitze und machte Shirin David somit zur ersten deutschen Rapperin mit einem Nummer-Eins-Album: ein Meilenstein, den es längst gebraucht hat.
Mit „Supersize“ sollte Shirins Erfolgsleiter aber lange nicht vorbei sein. Ein Bambi in der Kategorie Shootingstar, ihre nächste Nummer-Eins-Single „90-60-111“ oder das Feature auf dem aktuellsten Haftbefehl-Album sind nur einige der Ereignisse, die wenige Jahre zuvor wohl niemand erwartet hätte. Für diesen Monat, den September 2021, kündigte sie bereits die nächste Überraschung an: „Bitches Brauchen Rap“ heißt das zweite Album der Rapperin, deren erste Singleauskopplung „Ich darf das“ erneut auf die Eins chartete.
Doch so groß der Erfolg, so groß auch die Kritik – besonders bei weiblichen Künstlerinnen. So veröffentlichte sie beispielsweise 2017 ein Video gemeinsam mit dem Rapper Mert (der zuvor offen homophobe Aussagen tätigte) oder auch einen gemeinsamen Song mit Xavier Naidoo – beide Zusammenarbeiten beendete sie in Folge der Kritik jedoch und lies entsprechende Songs und Videos von allen Plattformen löschen. Besonders verheerende Kritik gibt es jedoch zum Thema Blackfacing: Nicht nur im Musikvideo zu „On Off“ (2019) zeigte Shirin sich mit deutlich dunklerem Hautton, auch abseits dieses Videos entstehen immer wieder Diskussionen um ihre Inszenierung, Kleidung und Verhaltensweisen.
Kritik ist erlaubt, ohne Frage, und in einigen Fällen mag sie sicher auch berechtigt sein. Sich darauf zu konzentrieren, welche Fehler und moralisch fragwürdigen Zusammenarbeiten sie in den vergangenen Jahren begang, lässt aber einen wichtigen Faktor außer Acht: Shirin Davids Einfluss auf die Wahrnehmung von Frauen im Deutschrap. Denn egal für welche Punkte man sie kritisieren möchte: Mit dem ersten Female-Rap-Album an der deutschen Charts-Spitze hat sie einen wichtigen Beitrag geleistet, der vielen jungen Frauen und Rapperinnen als Vorbild dient. Diese Positionierung gelingt ihr nicht nur durch den Erfolg selbst, sondern auch durch ihre inhaltliche Positionierung: „Hoes Up, G’s Down, umgekehrtes Slutshaming“, rappt sie in ihren „Babsi Bars“ und bringt damit selbst auf den Punkt, für welche Werte sie steht. Shirin David stellt das klassische Rollenbild auf den Kopf und provoziert mit selbstbewusster Weiblichkeit. Gemeinsam mit ihrem Songwriting-Team entstehen immer wieder Songs mit empowernden, feministischen, starken Aussagen, die Deutschrap definitiv braucht. Denn auch, wenn es unzählige Rapperinnen gibt, die sich feministisch und emanzipiert äußern – kaum eine von ihnen besitzt solch eine Reichweite und damit einhergehenden Einfluss, wie Shirin David es tut. Auch in der #deutschrapmetoo-Debatte gehört Shirin zu den lautesten Stimmen und macht sich gegen Machtmissbrauch und Sexismus stark, entschuldigt sich für Features mit misogynen Rappern und stellt sich unterstützend an die Seite von Opfern. Auch hier gibt es natürlich laute Schreie, die behaupten, das sei alles nur Promo. Aber selbst wenn, dann hat diese Promo zeitgleich für ein starkes, wichtiges Statement gesorgt.
Für einige mag Shirin David nur ein Abklatsch US-amerikanischer Rapperinnen sein, andere bezeichnen sie abwertend als YouTuberin, deren Rap-Erfolg nur durch frühere Fans zustande käme. Die Stimmen gegen sie sind oft laut , doch ihre eigene ist es auch – und bleibt es hoffentlich auch noch nach ihrem zweiten Album, mit dem sie vermutlich den nächsten Rekord aufstellen wird.