Folgende Szenerie: die Stadt Philadelphia des US-Bundesstaates Pennsylvania in den 80er Jahren, übersät vom knallbunten Graffiti, einer aufsteigenden HipHop-Kultur vom BoomBap zu experimentell, Block Partys mit DJs und MCs, die sich beweisen wollen, und mittendrin die elfjährige Terressa Ann Thompson, neu hergezogen von ihrem ehemaligen Zuhause in Boston.
Natürlich ahnt sie da noch nicht, dass sich ihr Interesse am Genre in Kollaborationen mit dem HipHop-Trio De La Soul sowie Zusammenarbeiten mit zeitgenössischen Künstlern und Producern wie The Roots, Da Beatminerz, Kid Sister und Kanye West umwandeln soll. Ihren charismatischen Verse im Lied „In The Woods“ von De La Soul rappt sie mit hochgepitchter Stimme und erkennbarer Entschlossenheit: „Can I come off like the rest of em I think I should / Could I of course one verse now ya lost it”, nimmt sie ihren Platz neben den männlichen MCs des Trios im Lied ein. Selbstbewusst und schlagfertig lässt sie sich nicht nur in diesem Feature charakterisieren. Ihre Überzeugung formt Terressa zur MC Shortie No Mass.
Schon als Kind folgt sie ihren inneren Trieben und lässt sich von der kontemporären Szene faszinieren. Ihre Sommerferien verbringt sie im New Freedom Theatre, einem afro-amerikanischen Theater in Philadelphia. Sie fokussiert sich auf die Erweiterung ihres Potenziales im Hinblick der Komposition von Liedern.
Nach der Schule trifft sie sich meist mit ihren Freunden, darunter Mel „Chaos“ Lewis, ein DJ mit Verbindungen zu The Roots. Ihre Umgebung inspiriert sie und hilft ihr dabei, ihren Character als aufkommende female MC zu verfestigen. Wie das Schicksal es will, trifft die junge Terressa per Zufall in einem Musikstore in der Nachbarschaft den Bassisten Leonard Hubbard von The Roots. Er unterstützt sie bei der Teilnahme an einer Talentshow, die Terressas zukünftiger Manager veranstaltet – und sie gewinnt.
Die Schülerin pendelt von nun an regelmäßig an Wochenenden zwischen Philadelphia und New York, um mit den sagenumwobenen Jungs von De La Soul zusammenzuarbeiten. Terressa als Shortie No Mas, zu Beginn noch mit einem „S“ weniger im Namen und aus dem Spanischen mit „nicht mehr“ übersetzbar, liefert gleich zwei Kollaborationen auf dem Album „Buhloone Mindstate“ (1993). Ihr abstraktes Wordplay und die unglaubliche Überzeugung der Künstlerin wirken in Zeiten, in denen female MCs wie Lauryn Hill und Lil‘ Kim aufkommen, ebenso markant und unterstützend.
Die Aufmerksamkeit um die aufstrebende Künstlerin wächst, aber wie sieht es mit Solo-Veröffentlichungen aus? Im Jahr 2002 veröffentlicht Shortie No Mass ihre EP „Maxi Like This/U Like My Style“ mit einer großen Verzögerung, aufgenommen hatte sie diese schon 1997 in den D&D Studios in New York City. Produziert von großen Namen wie Rockwilder und Da Beatminerz, landeten die Songs schon zwölf Jahre zuvor auf YouTube und generierten fast zehn Millionen Aufrufe. Den Kampfgeist und die mentale Stärke der Rapperin untermauern ihre einschneidenden und schlagkräftigen Bars:
I turn the stress into positive energy / I give my thanks to those who can’t stand the thought of me / See, you keep me pressed with intent to get better.”
Shortie No Mass veröffentlicht darauf zunächst nichts mehr. Passionierte Fans und Kollegen in der Musikindustrie sehnen sich jedoch nach dem Hunger und dem Ehrgeiz, den Shortie No Mass aufbrachte. Der Mitbegründer von A Tribe Called Quest hört in einem Video Thompsons Part auf De La Souls „In The Woods“ und redet zur Kamera: “Hey Terressa! Ms. Thompson, really? Can I hear some new shit?“ Die Begierde nach Musik veranlasst Shortie No Mass 2021, fast dreißig Jahre nach Beginn ihrer Musikkarriere, zu ihrem Album „here goes nothing.“
Shortie No Mass verlieh dem legendären HipHop Sound der 90er Jahre ein unwiderstehliches und erfrischendes Flair von weiblicher Stärke. Thompsons Überzeugung strahlte aus jedem Bar, jedem Verse, sodass Fans noch Dekaden nach ihren ersten Performances in Liedern nach mehr Musik von ihr verlangen.