Im Jahr 2012 zieht die als „erste afghanische Rapperin“ geltende Soosan Firooz das Interesse zahlreicher internationaler Medien auf sich, als sie ihre Debütsingle „Our neighbours“ auf YouTube veröffentlicht. In einer Zeit, in der es in Afghanistan selbst männliche Rapper nur wenige gibt, erhebt sie ihre Stimme für Frauenrechte und politisches Bewusstsein in einem von Krieg und Extremismus zerrissenem Land.
Soosan Firooz wird 1989 in Afghanistan geboren, muss aber mit ihrer Familie fliehen, als die Taliban Mitte der 1990er auf dem Vormarsch sind. Sie verbringt sieben Jahre in iranischen und anschließend drei Jahre in pakistanischen Flüchtlingslagern. Dort kann sie nur selten zur Schule gehen. Irgendeine bürokratische Ausrede sei immer aufgetaucht, um sie und andere Geflüchtete an der Einschreibung zu hindern, sagt sie. Sie habe tagtäglich Diskriminierung und Demütigung erfahren, aber immer versucht, sich zu wehren.
2003 kehrt die Familie nach Afghanistan zurück, als ihr Vater einen Job in der südlichen Stadt Kandahar findet. Soosan träumt davon, Ärztin oder Ingenieurin zu werden, kann jedoch als Dari-Sprecherin die paschtunsprachigen Schulen nicht besuchen. Daher konzentriert sie sich auf ihre Leidenschaft für Gesang und Schauspiel. 2011 zieht die Familie nach Kabul, wo Soosan beginnt, sich für Rap zu interessieren. Sie fragt ihren Vater um Erlaubnis, selbst rappen zu dürfen, und dieser stimmt glücklicherweise zu. Sie sieht im Rap eine Möglichkeit, ihren Erfahrungen und ihrem Leid Ausdruck zu verleihen:
If rap singing is a way to tell your miseries, Afghans have a lot to say.“
Da die populäre afghanische Musik zu dieser Zeit hauptsächlich aus romantischen Balladen besteht, erregt Soosan Firooz als rappende Frau mit schonungslosen Lyrics sofort Aufmerksamkeit. Der bekannte Komponist und Produzent Farid Rastagar zeigt sich begeistert von ihrem Talent und ihrem Mut und beginnt, mit ihr zu arbeiten. Er engagiert den Dichter Suhrab Sirat, der den Text zu Soosans erster Single „Our neighbours“ verfasst. Er selbst produziert den Song, der direkt durch die Decke geht. Soosan selbst sei sehr überrascht gewesen, wie berühmt sie mit einem einzigen Lied geworden sei.
Hear my stories and hear my sorrows, my sadness / Hear the story of my displacement and homelessness / We were lost, we were lost, lost all over the world.“
„Our neighbours“
Der sehr persönliche Text erzählt vom Leben als Geflüchtete und von der Sehnsucht nach der eigenen Heimat, von traumatischen Erfahrungen im Exil und gleichzeitig vom Traum von einem freien Afghanistan. Konservative Stimmen dort und den Nachbarländern halten wenig von diesen radikal offenen und anklagenden Zeilen – noch dazu von einer Frau.
Dank ihrer Popularität bekommt Soosan Firooz auch Rollen als Schauspielerin in afghanischen TV-Soaps und Filmen und wird so zur Alleinversorgerin für ihre Familie. Ihre Eltern stehen von Anfang an hinter ihrer Tochter, ihr Vater gibt sogar seinen Job auf, um als ihr Manager und Leibwächter zu fungieren.
My family may be in danger but they are resilient, I am resilient! They say fight on. We’re proud of you.“
Ein Großteil ihrer Verwandten bricht jedoch den Kontakt zu Soosans Familie ab, da sie sich für ihr Auftreten in Jeans und Sweatshirt und für ihre Texte schämten.
Wie ihre spätere afghanische Rap-Kollegin Sonita Alizadeh, bekommt sie als unkonventionelle Frau in der Öffentlichkeit zahlreiche (Mord-)Drohungen, weil sie sich für Frauenrechte stark macht und Missstände anklagt. Doch all die Anfeindungen bestärken sie nur darin, weiterzumachen. Sie rappt über Vergewaltigung, Missbrauch und Grausamkeiten, die afghanische Frauen während des jahrzehntelangen Krieges in einem von Armut geprägten Land ertragen mussten. Sie erwägt sogar, einen Song an die Taliban zu schreiben.
My request to the Taliban is that they stop killing innocent people.“
Ihre Wut über die Diskriminierung gegenüber Frauen in ihrem Land verpackt sie in ihren zweiten Track „Naqisul Aqal“, was soviel bedeutet wie „geistig gestört“: Diese Formulierung werde oft benutzt, um Frauen zu beleidigen.
If women have defective brains / So do your wife, your sister / And your mother too have defective brains / I am not your slave anymore / And the servant of your morning and evening / I am lost in your hypocrisy / And will never understand you / Listen listen to my voice / It is not just your choice / I am not only a woman / I am also a human.“
„Naqisul Aqal“
Mit den aktuellen Geschehnissen im Kopf, bricht es einem das Herz, dass Soosan Firooz in einem Interview mit der BBC im Jahr 2014 sagt, sie habe die Hoffnung, dass sich Afghanistan nach Abzug der ausländischen Truppen stabilisieren und sich die Situation in ihrem Land normalisieren könne. Doch 2017 verändert sich ihr Leben drastisch. Ihr Ehemann und ihr Bruder sterben in einem Bombenangriff der Taliban. Zusammen mit ihrer kleinen Tochter flieht sie nach Indien, wo sie seitdem als Geflüchtete unter prekären Bedingungen lebt.
Ende August dieses Jahres führt das indische Nachrichtenportal Newsclick.in ein Interview mit Soosan Firooz. Darin schildert sie ihre derzeitige Situation und versucht, ihre Gefühle zu den Geschehnissen in ihrem Heimatland in Worte zu fassen, auch wenn sich der Schmerz, den sie und alle anderen afghanischen Geflüchteten erleiden, kaum beschreiben lasse. Das Gefühl von Machtlosigkeit und Trauer, von Ungewissheit und Schmerz sei allgegenwärtig.
We have lost hope. The only hope is that we are breathing. We are dying from inside just watching what’s happening to our country.“
Die Zukunft für Soosan Firooz und auch für ihr Heimatland Afghanistan sind gegenwärtig ungewiss. Wir alle können nur wünschen, dass es bald wieder Hoffnung geben kann und sich die politische Situation und Lebensrealität so vieler Menschen verbessert. Soosan Firooz hat als erste populäre afghanische Rapperin unglaublichen Mut und Stärke bewiesen und Wichtiges geleistet. Dafür gebührt ihr der größte Respekt.