Andere Rapper:innen hätten vielleicht auf dicke (digitale) Beats und Bässe gesetzt. Speech Debelles Debütalbum „Speech Therapy“ (2009) schwamm in einem Meer aus (organischen) Instrumenten. Die Produktion war angenehm warm und nahbar. Ein perfektes Beispiel dafür: Das nervöse Holz-Percussion-Geklöppel unter dem vielleicht bis heute schmissigsten Speech Debelle-Song „Spinnin‘“. Diese Mischung der smarten und herzensguten Poetin mit dem mitreißenden Flow, mit dem 2009 kaum jemand mithalten konnte, mit den stets leicht unperfekt wirkenden organisch eingespielten Instrumentals machten Speech Debelle zu einer Art Kimya Dawson des Rap. Eine Musikerin, mit der man gern abhängen wollte, deren Songs man am liebsten ununterbrochen in den Arm nehmen wollte. Diese vielversprechende Kombination führte dazu, dass Speech Debelle im Alter von nur 22 Jahren für „Speech Therapy“, das mit einem Produktions-Budget von lediglich £3,000 eingespielt wurde, den renommierten Mercury Prize gewann.
Die Liste der Gewinner*innen des wohl wichtigsten Musikkritik-Preises in Großbritannien ist beeindruckend und ziert Namen wie Portishead, PJ Harvey, Dizzee Rascal, The XX, James Blake oder Skepta. Normalerweise schließen sich dem Gewinn unendlicher Weltruhm, Aufritte auf den Bühnen der größten Festivals und millionenfache Albumverkäufe an. All das blieb bei Speech Debelle aus. Ob es daran gelegen haben könnte, dass herauskam, die sympathische Musikerin hätte bereits während der Vocal-Aufnahmen des Albums viele Monate vor der Auszeichnung heraus posaunt, sie würde mit diesem Album mit Sicherheit den Mercury Prize gewinnen, könnte ein küchenpsychologischer Quatschgedanke sein. Geholfen hat es jedenfalls nicht.
„Nobody around me thought about getting that far but why not sit there and imagine yourself doing something that you’ve never done before? That’s what makes artists people who can see the future: they imagine it and then they create it and then other people can see it and believe it and it becomes a real thing“, blickt Speech Debelle 2017 im VICE Interview auf ihre Voraussage zurück und kann die Arroganz nicht erkennen, die ihr damals ausgelegt wurde.
Der Mercury Prize wurde zu einer Last auf den Schultern, die die junge Musikerin nicht tragen konnte. Der ausbleibende Erfolg trotz hoher Erwartungen führte zum Zerwürfnis mit ihrem Label Big Dada, zu dem sie 2012 allerdings zurückkehrte, um ihr zweites Album „Freedom Of Speech“ zu veröffentlichen. Die ersten drei Songs allein – „Studio Backpack Rap“, „Live For The Message“ und „Blaze Up A Fire“ (feat. Roots Manuva & Realism), der die Riots in London ein Jahr zuvor aufgriff – gehören nach wie vor zu den besten Rap-Songs aus UK überhaupt. Speech Debelle wollte es jetzt noch mehr, wollte es allen und sich selbst beweisen, legte sich unfassbar ins Zeug, spielte das komplette Musikbusiness-Game durch und gab unzählige Interviews. Trotzdem stand sie am Ende wieder mit leeren Taschen da. Der Erfolg blieb erneut aus. Im selben Jahr wurde ihr schmissigster Song „Spinnin‘“ zu einer der offiziellen Songs der Olympischen Spiele in London – allerdings nicht in ihrer Original-Version, sondern als blankpoliertes Cover von Dionne Bromfield & Tinchy Stryder.
Genug ist genug. Speech Debelle verlor ihre Liebe zur Musik, kehrte der Industrie den Rücken zu und verschwand für Jahre komplett aus dem Rampenlicht. Stattdessen vertiefte sie sich in neue Hobbies wie Kochen und Reisen. Sie betrieb einen Food Truck in East London. Für eine gewisse Zeit verließ sie England sogar, um in einem Flüchtlingscamp in Calais zu kochen. In dieser Zeit beschloss sie, dass sie nie wieder Alkohol trinken würde, mit dem sie ihre Ängste bisher immer betäubt und vertrieben hatte. Mit neuer Energie und Motivation fand auch HipHop zurück in ihr Herz. Sie entschied sich, ein drittes Album zu veröffentlichen, allerdings nach ihren eigenen Regeln. „Tantil Before I Breath“ erschien 2017, begleitet von einem Kochbuch ihrer Lieblingsgerichte, herausgebracht in Eigenregie ohne Labelpartner und von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet. Statt sich in der Release-Woche einem Interview-Marathon hinzugeben, wie es ihr die Musikindustrie diktiert und beigebracht hatte, flog die inzwischen 34-jährige Britin eine Woche zum Abschalten nach Gran Canaria in die Sonne.
Nachdenklich und tiefgründig wie eh und je rappt Speech Debelle über die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten dieser Welt, beschäftigt sich mit Identität, Liebe, Ruhe. Ein Album, das perfekt die inzwischen Erwachsene Speech Debelle portraitiert, die niemandem mehr gefallen muss, vor allem nicht der Musikindustrie. Wer ihr Instagram-Profil seither beobachtet, bekommt den Eindruck, dass Speech Debelle ihren Frieden gefunden hat, dem großen Erfolg weder hinterherweint noch ihn weiterhin vor sich herjagt. Gut so. Drei beeindruckende Alben (und vielleicht ja doch noch irgendwann ein viertes) bleiben und sprechen für sich.
Speech Debelle
27. November 2020