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SUMERIA

SUMERIA

Sumeria ist eine der sehr wenigen Frauen in der Welt des peruanischen Freestyles, also mag ich sie schon allein wegen des Fakts, dass sie bei diesen Events mitmacht, bei denen die Mehrheit männlich ist. Es gefällt mir vor allem, weil es den weiblichen Einsatz in der Szene sichtbarer macht. Außerdem finde ich es sehr interessant, wie sie es geschafft hat ihre Träume zu verwirklichen, obwohl sie noch so jung und doch schon Mutter ist und das alles in einem Umfeld, in dem viele Leute denken, Rap sei nur etwas für Männer.

Das ist das erste Statement, das ich zu Sumeria höre, als ich eine peruanische Bekannte nach dem südamerikanischen Nachwuchstalent frage. 

Sumeria, deren Name eigentlich Hilda Jaúregui Aragón ist, ist erst 22 Jahre alt und schon jetzt eine der bekanntesten Freestyle Artists in ganz Peru. Bereits im Alter von 17 Jahren wird sie Mutter und steigt seitdem, entgegen der Erwartungen ihrer männlichen Mitstreiter, stetig weiter auf im Rapgame der Nation. Nach der Geburt ihrer Tochter habe der Künstlerinnenname ihr den Mut und das Selbstbewusstsein gegeben, das der damals eher schüchternen Hilda noch fehlte, erzählt sie im Gespräch mit Red Bull. Zudem bezeichne der Ausdruck Sumeria auch die erste menschliche Zivilisation, was ihr ebenfalls zusage. 

Genau diesen Fortschritt, den vor unzähligen Jahren die erste Zivilisation bedeutete, bedeutet heute Sumeria für die peruanische Musiklandschaft: Schon im Kindesalter entwickelt die Tochter einer aus der südamerikanischen TV-Serie „Trampolín a la fama“ bekannten Mutter ein breitgefächertes Interesse für Musik und unterschiedlichste Genres. Von Rap über Rock bis hin zu Salsa entdeckt sie die Vielfalt der Musik und begleitet schließlich einen Freund zu einem Freestyle-Battle, nach dem sie sich sagt „Wenn er das kann, dann kann ich das auch.“ Gesagt, getan meldet sie sich für ein Battle an, nimmt teil, gewinnt und ist seit jenem Moment nicht mehr aus der Szene wegzudenken.

Im Rahmen von Kooperationen mit anderen Künstler:innen beweist sie, dass für musikalisches Talent nicht zwangsweise ein Penis nötig ist und möchte Stereotypen aufbrechen. Als Ziel gibt sie an, sich so nicht nur selbst einen Weg in die raue, von Männern dominierte nationale Musikszene schlagen zu wollen, sondern gleichzeitig auch die Arbeit anderer Künstler:innen wertschätzen zu wollen, die diesen Weg bereits vor ihr gegangen sind. Selbst erlebt die Peruanerin seit Beginn ihrer Karriere zahlreiche diskriminierende Momente, in denen ihr Männer sagen, HipHop wäre nichts für sie als Frau. So nutzt sie ihre Stimme in der Musik auch, um sich mit anderen FLINTA* zu solidarisieren. 

Musik sieht sie als Medium, um all das auszudrücken, was sie interessant und wichtig findet. Dabei begrenzt sie sich allerdings nicht auf ihre eigene Meinung und Erfahrungen, sondern bezieht auch diese ihrer Audience mit ein. Anderen möchte sie zuhören um deren Blickwinkel zu verstehen und schließlich ihre Stimme mit ihnen teilen zu können. Dies tut sie nicht nur im Rahmen besagter Battles, sondern überall dort, wo es potenziell Menschen geben könnte, die sie mit ihren Worten erreichen kann. Die südamerikanische Tradition des carrear beschreibt das plötzliche Freestylen inmitten von Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln und stellt eine von Sumerias Techniken dar, um gegen ihre Schüchternheit anzukämpfen, Bestätigung für ihr eigenes Talent zu gewinnen und gleichzeitig auch einige Spenden einzunehmen. So hilft es ihr auch dabei, sich während der ersten Jahre mit ihrer Tochter finanziell über Wasser zu halten. Vor allem die oftmalige Verwunderung der Menschen über eine Frau, die überhaupt rappt und dann noch über Vorurteile und Geschlechterklischees, vermutet sie als Grund hinter der großen Spendenfreudigkeit.

Nachdem die junge Mutter sich während ihrer Schwangerschaft aus größeren Rapbattles zurückzieht und für sich Texte schreibt, feiert sie 2018 nach der Geburt ihrer Tochter mit ihrer Teilnahme am Wettkampf Liga de Freestyle Femenina ein großes Comeback und gewinnt auch dieses erste Battle nach einjähriger Pause. Trotzdem bleiben finanzielle Engpässe Teil ihres Alltags und sie gründet neben Rap und Battles ein eigenes kleines Business, für das sie chocotejas, Schokoladen-Bonbons, produziert, um sie auf größeren Events verkaufen zu können. Nach einer zwar sieglosen Teilnahme am Battle Red Bull Batalla de los Gallos vergrößert sich das Interesse an ihrer Produktion, was ihr zu finanzieller Sicherheit verhilft. Mit neu gewonnener Kraft bewirbt sie sich 2020 erneut für eines der größten Battles Südamerikas. Doch dann: Lockdown und somit das Ende für alle großen Rapveranstaltungen, wie auch für ihren Schokoladenverkauf auf Events und somit neue finanzielle Probleme. Gemeinsam mit anderen Frauen, die pandemiebedingt auf Grund mangelnder Unterstützung von Seiten des Staates ihren Job in der Musikindustrie verloren hatten, findet sie schließlich Arbeit in einem medizinischen Labor. Gewerkschaft der Rapperinnen nennen sie sich und unterstützen sich fortan gegenseitig bei Versuchen, im Business wieder Fuß zu fassen.

Ein erster Schritt in diese Richtung ist für Sumeria nun die Kollaboration mit der ebenfalls peruanischen Künstlerin Gato Malo für den Song Juntas podemos todo, der langsam aber sicher zu einer feministischen Hymne aufblüht. 

Rompemos las barreras por las que ya no están. Ya no estamos solas, hoy en día somos más. Luchamos aquí firmes, nos ganamos un lugar

See Also

(dt. „Lasst uns die Barrieren durchbrechen, für die, die nicht mehr da sind. Wir sind nicht mehr alleine, heute an diesem Tag sind wir mehr. Wir kämpfen hier standhaft, wir erkämpfen uns einen Platz“)

Sumeria und Gato Malo in ihrem gemeinsamen Song „Juntas podemos todo

In ihrem gemeinsamen Song erzählen die beiden Künstlerinnen von ihrem persönlichen Kampf gegen Stereotype und wollen so auch andere dazu einladen, ihre Stimmen zu erheben. Nach dem Protestsong haben sie nun auch für 2022 ein Projekt zur Stärkung von Frauen im HipHop geplant. 

Irgendwann einmal möchte Sumeria von ihrer Musik leben können und bis es soweit ist, sollten wir alle fleißig die ersten Songs ihrer seit 2018 geplanten EP streamen, die sie unter dem Namen Sumeriaa (auf Spotify mit zwei a) veröffentlicht.

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