Die erste Begegnung mit Thirteen13 mag schockieren: lange Fingernägel, gruselige Kostüme und sehr, sehr viel Blut – das volle Programm. Horrorcore trifft auf Rap und beides zusammen wiederum auf Musikvideos, die viel eher Blockbustern oder Modeshows gleichen. Schnell wird deutlich, dass sich hinter Thirteen13 eine große Künstlerin verbergen muss. In ihren Songs prangert sie explizit die japanische Gesellschaft und ihre konservativen Tabus an. Thirteen13 hat genug von der Annahme, alles müsse ordentlich, homogen und unterwürfig gegenüber Staat, Religion und Patriarchat sein. Stattdessen gibt es Satanismus, Tattoos, gewagte Outfits und jede Menge Horror-Atmosphäre.
Hinter dem Alias Thirteen13 verbirgt sich Nina Utashiro (歌代ニーナ). Als Tochter einer Japanerin und eines Deutschen wuchs sie zunächst in Tokio auf. Bereits als Kind fühlte sie sich dort aufgrund ihrer teils deutschen Nationalität ungewollt und ausgegrenzt: „Japan is extremely homogeneous. Everyone knew me because my name and face were different.“ (im Interview bei Neocha) Immer wieder erzählt sie, dass sie nicht als vollwertige Japanerin anerkannt wurde und deshalb eine Art Vogelperspektive auf die japanische Gesellschaft um sie herum entwickelte, statt sich eben dieser zugehörig zu fühlen. Als sie im Alter von 16 Jahren mit ihren Eltern nach New York zog und sich in der westlichen Kultur als Individuum verstandener fühlte, verstärkte sich ihr negatives Bild von Japan umso mehr.
Als Jugendliche hörte Nina ausschließlich Heavy Metal, was ihr seitens der streng katholischen Familie ihres Vater regelmäßig Schwierigkeiten bereitete. Auch wenn sie es damals nicht so wahrnahm, bezeichnet sie ihren Vater heute als „white supremacist“, der vor allen Dingen dafür gesorgt habe, dass sie nun wisse, wie sie selbst niemals werden wolle. Nach der Scheidung ihrer Eltern zog Nina gemeinsam mit ihrer Mutter nach Manhatten, wo sie eine öffentliche Highschool besuchte. Dort lernte sie erstmals Menschen kennen, zu deren Alltag Drogen, Kriminalität und Armut gehörten – etwas, das ihr aus Japan vollkommen fremd war und sie erneut an der japanischen Gesellschaft zweifeln ließ. Im Anschluss an die Schule, die sie früh beendete, studierte sie Kunstgeschichte an der Columbia University und befasste sich intesiv mit westlicher Mode, bevor sie dann im Alter von 21 Jahren wieder nach Tokio zog.
Zurück in Japa,n gründete Nina 2018 das Magazin PETRICHOR. „My magazine PETRICHOR is a place for me to voice my message with no rules. Anything controversial is taboo in Japanese media, so I can never creative direct or write my true opinions. With each issue of PETRICHOR, we have a theme throughout the entire issue and tell stories through each editorial with drawings, poetry, from different angles. PETRICHOR’s main objective is to tell the story of actuality through our curated reality. To question the norm, to surface the hidden, and to remember the forgotten“, erklärte sie dem Kaltblut Magazine. Durch ihre Tätigkeit beim PETRICHOR entwickelte sie den Wunsch, ihre Vorstellung von (Kunst-)Freiheit musikalisch auszudrücken und dabei sowohl Heavy Metal als auch HipHop miteinander in Einklang zu bringen.
2018 veröffentlichte Thirteen13 mit „OMNIPRESENT“ ihre erste EP. Es folgten einige Singles, dann die zweite und bislang erfolgreichste EP „MOUTH“. Dabei verfolgen all ihre Releases trotz teils unterschiedlicher Stile die gleichen Ziele: der (in ihren Augen) konservativen und verschlossenen japanischen Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Mit besonders provokativer Sprache, tabuisierten Tätowierungen und stark sexualisierter Inszenierung möchte sie Aufsehen erregen und Japaner:innen dazu bringen, ihre eigenen Tabus zu hinterfragen. Aus diesem Grund rappt sie bis heute überwiegend auf Japanisch, da es ihr wichtig ist, dass ihre Kritik auch tatsächlich von Japaner:innen gehört und verstanden wird.
Betrachtet man ihre Kindheit und Jugend, lässt sich aber annehmen, dass Thirteen13 nicht nur gegen die japanische Gesellschaft und die dort eingeschränkte Wahrnehmung von Kunst rebellieren, sondern auch mit ihrem religiösen und später rassistischen Vater abrechnen möchte. Mal inszeniert sie sich als Satanistin oder als Dämon, in anderen Songs bezeichnet sie sich selbst stolz als Antichrist. Eine gewisse Verbindung zu ihrem katholischen Vater zu vermuten, zu dem sie schon immer ein schwieriges Verhältnis pflegte, liegt hier nahe. Doch ganz gleich, wen genau Thirteen13 mit ihren Videos und Songs eigentlich provozieren und zum Nachdenken bringen will: Sie weiß genau, was sie tun muss, um gesehen zu werden.