Ein pinker Lada parkt vor einem Whitescreen. Vier Insassen steigen aus, ihr Styling ist maximal fancy. Zwischen Pelzmänteln, Ivy-Park-Kollektion und Netzstrumpfhosen beginnt TIIU ihren Verse und stellt sich den geneigten Hörer:innen mit einem Knall aus selbstreferenziellen Punchlines vor. Dabei wirkt der Track „Bangbang“ zugleich als selbstbewusste Hymne und als Persiflage auf gängige HipHop-Klischees.
Das 2017 erschienene Video schlägt Wellen und wird – wider TIIUs Erwartungen – so erfolgreich, dass es zwischenzeitlich in den Top drei der beliebtesten YouTube-Videos in Estland landet. Für die junge Rapperin hat dieser Erfolg aber nicht nur positive Auswirkungen: Sie sieht sich mit einer ganzen Armee an Internet-Trollen konfrontiert, die nicht nur sie selbst nach allen Regeln der Kunst mit Hate übergießen, sondern auch gegen eine der Tänzerinnen im Video schießen. Diese arbeitet hauptberuflich als Lehrerin. Nicht nur Eltern und Schüler:innen sind not amused, gefühlt debattiert die ganze estländische Gesellschaft darüber, ob eine Lehrerin sich in knappen Klamotten in einem Rap-Video zeigen darf. Die Diskussion ruft sogar das Bildungsministerium auf den Plan. Dieses Erlebnis hinterlässt Spuren bei TIIU:
Die ganze Aktion brachte mir noch mehr Unsicherheit als zuvor. Ich bekomme Kommentare zu jeder Geschichte, jedem Video, jedem Artikel, jeder Aufführung, meinem Aussehen, meiner Kleidung, meinem Verhalten, meinen Gesichtsausdrücken. Es ist schwer, standhaft zu bleiben, wenn einige psychisch kranke Typen ständig versuchen, ihre innere Frustration über mich auszuleben.“
TIIU in ihrem Blog Roosagangster
Dennoch macht TIIU weiter. Zum Glück. Dabei bewegt sie sich selten allein ins Studio. Lange Zeit kollaboriert sie mit dem Rapper Okym, der auch auf „Bangbang“ zu hören ist. Auch die Rapperin Olivia sowie Aden Ray, Ocean Black und und Choppy stehen auf ihrer Feature-Liste. Dazu steht die MC auf Bühnen aller Größen, performt unter anderem auf dem Positivus Festival. Und nicht nur am Mikrofon ist TIIU aktiv. Auf ihrem Blog Roosagangster schreibt sie „aus rein narzisstischen Zwecken“ über Musik, Stereotype und Pferde. Der Reitsport gehört seit ihrem zehnten Lebensjahr fest zu ihrem Leben. Darüber hinaus war Tiiu Kaarlõp, so TIIUs bürgerlicher Name, bereits hinter den Kulissen der Musikindustrie für Music Estonia tätig. Ihr Heimatland auch international mehr auf den Radar der Musikwelt zu bringen, ist ihr ein tiefes Anliegen.
Das Baltikum ist nicht unbedingt die erste Adresse, wenn mensch über florierende Rap-Szenen nachdenkt. Dennoch gibt es natürlich auch in Lettland, Litauen und Estland HipHop-Nerds, Beatsmiths und Rapperinnen. Die estländische Rapperin TIIU ist vielleicht die Sichtbarste unter ihnen, aber mit Sicherheit nicht die Einzige. Es lohnt sich, den Blick öfter einmal gen Osten zu richten.